F-Type - Vertragen sich 400 PS und ein Kindersitz?

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F-Type - Vertragen sich 400 PS und ein Kindersitz?

Beitrag von Cpt. Jag » Mi 06 Sep, 2017 13:02

Die Tochter unserer Autorin wollte wissen, wie es ist, mit einem richtig schnellen Auto zu fahren. Von der Sportversion des Jaguar F-Type Cabriolets war sie jedoch weniger beeindruckt als ihre Mutter.

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Mit dem Jaguar aufs Land: Die WELT-Autorin Lorraine Haist und ihre Tochter legen eine Pause ein, dabei ist die Fahrt im Jaguar F-Type Cabriolet eigentlich gar nicht anstrengend


Der letzte Testwagen war meiner Tochter zu lahm. Sie fährt mit ihrem Kinderfahrrad am liebsten steil bergab und verlangt auch vom Kindersitz meines Fahrrads aus ungebremste Abwärtsritte überall dort, wo es sich anbietet. Ein Rennwagen sollte es also mindestens sein, gab sie mir zu verstehen, sollte sie noch einmal für mehrere Stunden freiwillig in ein Auto steigen. Wie die meisten Fünfjährigen hasst sie lange Autofahrten, nur unseren alten VW Käfer nimmt sie aus Niedlichkeitsgründen davon aus.

Der Jaguar F-Type 400 Sport Cabriolet ist das Material, das den gehobenen Ansprüchen meiner Tochter gerecht werden könnte. Er ist von einer kompakten Eleganz, die man unter Autofans wohl als schnittig bezeichnet. Obschon weniger ausladend als sein Vorfahre, der legendäre E-Type, ist die Reminiszenz an klassische britische Sportwagen erkennbar. Ein wenig Porsche 911 steckt auch drin, wenn der Jaguar auch leichtfüßiger, weniger bullig daherkommt als der Kraftprotz aus Schwaben.

Mir gefällt der Wagen sofort, obwohl man mich mit Details wie den etwas marktschreierischen gelben „400“-Aufdrucken auf den superleichten Sportsitzen – extrem bequem, figurgenau einstellbar und Kindersitz-kompatibel – und den entsprechend eingefärbten Ziernähten eigentlich nicht locken kann.

Seine 400 PS glaubt man dem Jaguar mit Sechszylinder-Kompressormotor auch so – beim Betätigen des wie vorfreudig blinkenden Startknopfs ertönt ein gigantisches Röhren, das meiner Tochter ein anerkennendes „Wow!“ entlockt. Geht gut los, die Ausfahrt ins Mecklenburgische, die wir mit dem Zweisitzer unternehmen wollen.

Der Sound der beiden schon optisch Rasanz suggerierenden Auspuffrohre begleitet uns in Richtung Norden durch die Stadt. Anfangs ist mir das Anfahren nach jedem Stopp noch etwas peinlich, ich hatte als Teenager schließlich auch kein getuntes Mofa. Aber dieses Auto, das fühle selbst ich als wenig aggressive Fahrerin, ist der real deal. Das darf nicht nur röhren, es muss!

Wir halten in Berlin-Wedding an einem Zebrastreifen, einer der dort ansässigen jugendlichen Autofreaks starrt auf den Wagen. „Ich will dein Beifahrer sein!“, ruft er mir durchs offene Fenster zu. Geht nicht, da sitzt schon meine Tochter, die jetzt „Radio Maria“ hören will. Das ist ihr Codename für Radiosender, die klassische Musik spielen. Klassik verbindet sie mit Gottesdiensten, die sie seit einem Urlaub in Süditalien faszinierend findet. Ich hätte lieber Justin Bieber oder Fettes Brot gehört, die Anlage des Jaguar hat nämlich ähnlich viel Potenzial wie sein Motor.

Sei’s drum. Auf der Autobahn in Richtung Oranienburg gibt es einen Abschnitt ohne Tempolimit, und zum Plätschern einer Operette auf Klassik-Radio trete ich das Gaspedal voll durch. Der Jaguar brüllt erst los und fliegt dann davon, und zum ersten Mal kann ich nachvollziehen, warum Menschen zu Dränglern werden: Es nervt wie verrückt, wenn man auf 400 PS sitzt und irgendwelche Audis und Mercedes, die schnellere und schönere Autos offenbar als Konkurrenz verstehen, aus Boshaftigkeit auf der linken Spur kleben bleiben.


Die Mutter sagt „geil!“ Die Tochter lacht



Der Wagen beschleunigt in fünf Sekunden von null auf Tempo 100 und schafft eine Höchstgeschwindigkeit von 276 Stundenkilometern – bei Tempo 200 denke ich an die wertvolle Fracht neben mir, die mich mit großen Augen anschaut und sagt: „Das ist wie beim Start im Flugzeug“ (eine weitere Vorliebe von ihr).

Ich denke auch an eine Fahrt in einem Aston Martin auf einer Rennstrecke in England vor ein paar Jahren, bei der ich Schweißausbrüche bekam, obwohl ich auf dem Beifahrersitz saß und ein Profi den Wagen lenkte. Beim Abbremsen werden wir beide leicht nach vorn geschleudert, wie das in einem echten Rennwagen eben so ist. „Geil!“, höre ich mich laut sagen, und meine Tochter lacht mich an.

Bis zu unserem Ziel, dem „Forsthaus Strelitz“, einer geschmackvollen Herberge mit hervorragender moderner Naturküche, stecken wir im Wochenendverkehr auf der Landstraße fest. Aber auch dort macht der Jaguar großen Spaß, mit seinen 1,6 Tonnen rollt er sanft und sicher durch Wälder und Alleen.

Hier muss man das Cabriolet natürlich offen fahren, was sich tatsächlich kinderleicht bewerkstelligen lässt: Neben dem Betätigen des Startknopfs wird das Drücken der Taste zum Öffnen des Verdecks zu den beiden Dingen, die meine Beifahrerin mit Freude übernimmt. Von dem Boost-Knopf, der den Auspuff noch ein paar Dezibel lauter als ohnehin schon trompeten lässt, macht sie dagegen nur einmal Gebrauch.

Ich muss das auch nicht haben, so wenig wie die versenkbaren Griffe, die beim Öffnen des Wagens automatisch aus den Türen fahren. Ästhetische Spielereien wie diese sind es aber, die den Wagen zum Neidobjekt machen, beglotzt vom männlichen Publikum einer brandenburgischen Tankstelle, für das wir den Jaguar zum Abschied noch einmal besonders laut röhren lassen. „30.000 wird der schon kosten, oder?“, hatte der Tankwart geschätzt. Als ich ihm den Listenpreis von 106.350 Euro nannte, verstummte er.

Zurück in Berlin, möchte ich von meiner Tochter wissen, was ihr an dem Wagen – den ich insgeheim gerne behalten würde – besonders gut gefallen habe. „Nix!, sagt sie. „Außer dem Startknopf!“ Sie will endlich zum Spielplatz.


Quelle: welt.de
Autor: Lorraine Haist
06.09.2017
XJ 8 Sovereign 4L / 2001
Where ignorance is bliss, 'tis folly to be wise.

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