Mit deutscher Hilfe auferstanden

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Cpt. Jag
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Mit deutscher Hilfe auferstanden

Beitrag von Cpt. Jag » Mo 13 Apr, 2015 12:31

Britische Traditions-Automarken wie Jaguar und Bentley erleben unter deutscher Führung eine Wiedergeburt. Ein EU-Austritt des Landes könnte den Erfolg jäh stoppen.

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Der Chef von Jaguar Land Rover, Ralf Speth, zeigt Königin Elizabeth II. das neue Motorenwerk in Wolverhampton (Archivbild). | © Joe Giddens/WPA Pool/Getty Images


Olaf Schlösser besitzt ein Privileg. Offiziell beginnt der Verkauf des neuen Jaguar XE erst am 13. Juni. Der Geschäftsführer des Autohauses Royal Motors Kempen durfte ausgewählte Kunden aber schon am vergangenen Wochenende ins "Innovation Lab" nach Köln einladen. In dem futuristischen Ambiente am Rheinauhafen konnte Schlösser seiner Fangemeinde zweieinhalb Monate vor anderen die neue Sportlimousine präsentieren.

Die Show weit vor der Zeit ist Teil einer "Innovationstour", die Jaguar für exquisite Kunden auch in München, Leipzig, Berlin und anderen deutschen Großstädten organisiert. Der Hauch des Edlen und Hervorgehobenen zielt nicht nur auf Freunde feiner Karossen, sondern vor allem auf die bisherigen Käufer deutscher Premiummodelle wie des Audi A4, den BMW 3er und die C-Klasse von Mercedes. "Wir schalten endlich voll auf Angriff", sagt Jaguar-Händler Schlösser. Von dem neuen Modell XE erhofft sich Jaguar bis 2017 eine Verdoppelung des Absatzes – Werbeslogan "British Intelligence".


Anders als sonst auf der Insel ist das Eigenlob von Jaguar kein Understatement, sondern eher Übertreibung. Denn die mindestens 36.450 Euro teure Karosse strotzt weniger vor britischer, denn vor deutscher Ingenieur- und Verkaufskunst. Zwar gehört das vor 80 Jahren gegründete britische Unternehmen zusammen mit dem Geländewagenhersteller Land Rover seit 2008 zum indischen Autokonzern Tata.

Die operative Führung der beiden Unternehmen liegt jedoch in der Hand vier ehemaliger lang gedienter BMW-Manager: Ralf Speth (Vorstandsvorsitzender), Wolfgang Epple (Entwicklungschef), Wolfgang Stadler (Produktionschef) sowie Wolfgang Ziebart (Technikchef). Letzter, mittlerweile 65 Jahre alt, hat vergangene Woche aus Altersgründen seinen Platz für den Briten Nick Rogers, 47, geräumt.

Die deutschen Chefs haben aus dem altbackenen zeitweisen Pleitekandidaten in den zurückliegenden sieben Jahren ein Erfolgsunternehmen geformt. Jaguar Land Rover machte im Geschäftsjahr 2013/14 (bis 31. März) umgerechnet 26,5 Milliarden Euro Umsatz, verkaufte rund 435.000 Fahrzeuge und fuhr für seinen indischen Eigner einen Rekordgewinn von 4,6 Milliarden Euro vor Steuern und Abschreibungen ein. Mit einer Bruttomarge von 17,7 Prozent liegt Jaguar Land Rover inzwischen auf Augenhöhe mit den Besten der Branche. Im Oktober des vergangenen Jahres machte sich Queen Elizabeth II. persönlich ein Bild vom ersten eigenen Motorenwerk von Jaguar Land Rover in Wolverhampton bei Birmingham.


"British Elend"

Die wundersame Genesung von Jaguar Land Rover nach dem Beinahetod 1986 steht für den Wiederaufstieg Großbritanniens als bedeutendem Produktionsstandort der Autoindustrie. 1,6 Millionen Fahrzeuge bauten die Briten im vergangenen Jahr zwischen dem Ärmelkanal und den schottischen Highlands. Das ist immerhin fast ein Drittel der Inlandsproduktion deutscher Autohersteller (5,9 Millionen Wagen).

Der japanische Autohersteller Nissan fertigt zwar schon seit gut 30 Jahren in Großbritannien und bringt es mit seinen rund 500.000 Autos aus seinem Werk im nordenglischen Sunderland zum größten Hersteller auf der Insel. Auch Honda und Nissan, Toyota, Ford und General Motors nutzen das Land, vor allem als Brückenkopf für den europäischen Markt.

Das eigentlich Bemerkenswerte an dem Comeback der britischen Autoindustrie aber liegt im Wiederaufstieg der wenigen britischen Traditionsmarken aus den Ruinen der einstigen staatlich gesteuerten British Leyland Motor Corporation (Branchenspott: "British Elend") – und das unter deutscher Führung.

Ob Jaguar Land Rover unter Vorstandschef Speth, Bentley als Luxusmarke des VW-Konzerns, Mini unter den Fittichen von BMW oder Rolls-Royce ebenfalls in Münchner Händen: Mit Teutonen an der Spitze oder als Eigentümer stehen die Marken heute besser da als je.

Manche Briten wie der inzwischen gefeuerte BBC-Starmoderator Jeremy Clarkson mochten über die Germans und ihren Erfolg spotten. Doch ohne die Investitionen etwa von BMW, die Rede ist von insgesamt 2,4 Milliarden Euro, hätte sich der Mini nie so zur Absatzrakete entwickelt. Der seit 1. März amtierende Mini-Chef Sebastian Mackensen übernimmt ein top geführtes Haus.

Im vergangenen Jahr verkaufte die BMW-Tochter mehr als 300.000 Exemplare, zwölfmal so viel 2001, dem Jahr, in dem der Mini neuer Prägung auf den Markt kam. Das schafften die Deutschen nicht nur mit den ihnen zugeschriebenen Tugenden wie Ingenieurkunst und Organisationstalent, gepaart mit Finanzkraft. Nachdem sie das Auto bei Technik und Komfort auf den neuesten Stand gebracht hatten, bauten sie die Modellpalette massiv aus.


Rolls-Royce vervierfacht den Absatz

Im Hauptwerk Oxford laufen die zweitürigen Varianten Hatch, Cabrio, Roadster und Coupé vom Band. Swindon westlich von London liefert Komponenten, Hams Hall bei Birmingham baut Motoren. Der Absatz der rund 20.000 Euro teuren Winzlinge läuft so gut, dass die Bayern die mehrtürigen Modelle Countryman, Clubman und Paceman beim österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna und neuerdings auch bei dem niederländischen Auftragsfertiger Nedcar montieren lassen.

"Das lässt uns atmen", sagt der für Mini zuständige BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer. Mit der jüngsten Investition in Oxford sei die Maximalkapazität von 260.000 Stück erreicht. "Wir brauchen zusätzliche flexible Produktionskapazität. Das moderne niederländische Werk bietet logistische Vorteile durch seine Nähe zu unserem britischen Produktionsdreieck. Das ist und bleibt aber das Herz der Mini-Produktion."

Für die Region und ihre Gemeinden ist das deutsche Engagement ein Segen. 18.000 Menschen arbeiten im Vereinigten Königreich allein für BMW. Hinzu kommen Zulieferer und Dienstleister, die mehr als 46.000 Mitarbeiter beschäftigen.

Ebenfalls auf Wachstumskurs ist die Luxus-Marke Rolls-Royce, die seit 2000 zu BMW gehört. Unter dem Deutschen Torsten Müller-Ötvös entsteht derzeit in Bognor Regis in der Nähe von Goodwood, eine halbe Autostunde von der südenglischen Hafenstaat Portsmouth, ein neues Technologie- und Logistikzentrum. Das Stammwerk in Goodwood platzt aus allen Nähten. Seitdem Müller-Ötvös 2010 die Geschicke des Nobelkarossenherstellers lenkt, hat sich der Absatz auf mehr als 4.000 Fahrzeuge pro Jahr vervierfacht. Mit dem neuen, über 300.000 Euro teuren sportlichen Luxusgeländewagen namens Cullinan wollen die Deutschen das Absatzvolumen bis 2019 fast verdoppeln – und die Ertragslage nochmals deutlich verbessern.


Aston Martin wiederbelebt

Ähnlich rasant entwickelt sich die einstige Rolls-Royce-Schwestermarke Bentley, die seit 1998 zu Volkswagen gehört und es bereits auf fünfstellige Absatzzahlen bringt – dem alten und neuen Chef Wolfgang Dürheimer sei Dank. 2014 lieferte das Werk in Crewe 45 Kilometer südwestlich von Manchester knapp 11.000 Fahrzeuge aus und der deutschen Konzernmutter einen operativen Gewinn von 168 Millionen Euro.

VW hat für umgerechnet 54,7 Millionen Euro im Bentley-Stammwerk Crewe ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum errichtet. Das Geld soll in kürzester Zeit der 600 PS starke sportliche Ultra-Luxusgeländewagen mit einem 12-Zylinder-Motor einspielen. Von dem Boliden will VW im kommenden Jahr 3.000 Fahrzeuge verkaufen. Insgesamt steckt VW zwischen 2014 und 2016 rund 1,15 Milliarden Euro in seine britische Luxusmarke Bentley in Großbritannien.

Wohl am spannendsten verläuft die Wiederbelebung bei Aston Martin, der urbritischsten aller Autoschmieden. In den sechziger Jahren schmückten die Sportwagen die James-Bond-Filme. Unvergesslich, wie Sean Connery alias MI6-Agent 007 im Dienste seiner Majestät 1964 in Goldfinger aus einem Aston Martin DB5 Raketen abfeuerte und sich unliebsamer Beifahrer per Schleudersitz entledigte. Doch der Ruhm währte nicht lange. In den siebziger Jahren drohte die Pleite. Die Kultmarke wechselte mehrfach den Besitzer.

Im Jahr 2000 übernahm der ehemalige BMW- und Porsche-Manager Ulrich Bez die Leitung. Er päppelte Aston Martin wieder auf und führte den Sportwagenhersteller zurück in den Motorsport. Seit 2013 sitzt Bez im Aufsichtsrat, Chef ist seitdem der frühere Rover- und Infiniti-Ingenieur Andrew Palmer.

Alles schien gut, doch dann zeigte sich, dass die enormen Entwicklungskosten für umweltverträglichere Motoren und eine neue Fahrzeugplattform die kleine Marke mit ihren 4.000 verkauften Autos 2014 völlig überforderte. Vor zwei Jahren hat sich deshalb Daimler mit fünf Prozent an Aston Martin beteiligt, größte Anteilseigner sind der italienische Finanzinvestor Investindustrial sowie die kuwaitischen Investorengruppen Dar und Adeem.

In Stuttgart wird nicht ausgeschlossen, dass die Schwaben eines Tages stärker einsteigen. Aston-Martin-Chef Palmer erklärte Ende März, er werde die Produktpalette für Märkte außerhalb Europas erweitern. Im Fokus stehen zunächst China und der Mittlere Osten.

Die Briten und ihre Regierung stört es nicht, dass die heimische Autoindustrie nach ihrem beispiellosen Niedergang in den siebziger Jahren nun unter ausländischer Führung wieder auflebt. Denn London setzt auf die Stärkung der Industrie in einem Land, dessen Wertschöpfung zu 75 Prozent auf Dienstleistungen basiert. Dazu bieten die Briten wie beim Tennisturnier von Wimbledon ausländischen Playern gern den Court.


Autohersteller warnen vor EU-Austritt

Deutsche Autobauer könnten darüber zufrieden sein, fänden sie auf der Insel in ausreichendem Umfang die nötigen Fachkräfte. Daran hapert es in der einstigen Wiege der Industrialisierung aber sehr. VW und BMW bleibt deshalb nur, Techniker und Ingenieure aus anderen Teilen Europas über den Ärmelkanal zu holen. Auf der Insel selbst versuchen sie, durch betriebliche Fortbildungskurse das Defizit zu beseitigen.

Hauptkritikpunkt ist das schlechte Niveau der britischen Schulabgänger. Eine dreistufige Ausbildung etwa wie im deutschen Handwerk vom Lehrling über den Gesellen bis zum Meister gibt es nicht. Hinzu kommt, dass technische Berufe und Handwerker im Königreich wenig Prestige genießen, die Begabtesten ziehen in die City. "Ein Ingenieur hat in Deutschland einen ähnlich guten Status wie ein Arzt, hier in Großbritannien gilt das nicht", sagt Paul Willis, VW-Chef in Großbritannien.

Seit Jahren kämpft der Verein German Industry UK, der in Großbritannien den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) repräsentiert, vergeblich um die Verbesserung der beruflichen Bildung auf der Insel. Eine im Januar veröffentlichte Umfrage ergab wieder einmal ernüchternde Resultate: Die Mehrheit der deutschen Firmen muss aufwendiges Training anbieten, um neue Mitarbeiter auf ein akzeptables Niveau zu bringen; die Lage sei heute schlechter als vor fünf Jahren, heißt es.

Positiv schlagen für deutsche Unternehmen dagegen die niedrige Körperschaftsteuer von 20 Prozent und steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung zu Buche, von denen auch Bentley und Rolls-Royce mit ihren Entwicklungszentren profitieren dürften. Denn die sogenannte Patentbox ermöglicht es Firmen, die Abgaben auf Gewinne aus Patenten in Großbritannien ab 2017 auf zehn Prozent zu senken.


Angst vor dem Brexit

Die Masche hat Tradition in Großbritannien, wenn die eigenen Firmen, speziell die Autobauer, es nicht mehr richtig bringen. So waren es auch die steuerlichen Anreize, die 1986 Nissan als ersten japanischer Autobauer bewogen, sich im nordenglischen Sunderland und nicht in einer anderen Region Europas niederzulassen. Unter anderem bekam Nissan 9,3 Millionen Pfund (nach damaligem Wert etwa 12,7 Millionen Euro) aus einem regionalen Strukturfördertopf. Der Nordosten Englands hatte in besonderer Weise unter der Deindustrialisierung des Landes gelitten, die Arbeitslosigkeit war hoch.

So gut es derzeit auch für die Autoindustrie unter deutscher Obhut in Großbritannien läuft, in den Chefetagen breitet sich Sorge aus. Denn am 7. Mai wird in Großbritannien gewählt. Sollten die Konservativen gewinnen, muss Premier David Cameron sein Versprechen einlösen und die Briten spätestens 2017 über die künftige Mitgliedschaft in der EU abstimmen lassen. Sollte die euroskeptische UKIP-Partei zum Zünglein an der Waage werden, käme das Referendum wohl schon dieses Jahr.

Den Automanagern ist das ein Graus, die Gesellschaft der Autohersteller und Händler SMMT warnt bereits lautstark vor den Gefahren eines EU-Austritts, im Volksmund Brexit genannt. 92 Prozent der SMMT-Mitglieder halten die EU-Mitgliedschaft für wichtig, andernfalls wäre der freie Zugang zum EU-Binnenmarkt bedroht, in den rund die Hälfte der Autoexporte geht. Ein Fünftel der Komponenten für die Autoproduktion werden ins Vereinigte Königreich eingeführt, die Importe würden dann vielleicht mit Einfuhrzöllen belegt. Außerdem wäre die Freizügigkeit von Fachkräften aus der EU gefährdet. Bedroht sind auch die Investitionen.

"Ausländische Geschäftsleute investieren in Großbritannien, weil ihnen damit der Zugang zum Binnenmarkt garantiert ist. Ist das nicht mehr sichergestellt, werden sie nach anderen Optionen suchen", warnte bereits Wirtschaftsminister Vince Cable. Anders als viele seiner deutschen Kollegen sprach Carlos Ghosn, der Chef von Renault-Nissan, schon früh Klartext: "Im Falle eines EU-Austritts wird Nissan im Hinblick auf Großbritannien die künftige Strategie und Investitionen überdenken", sagte er dem britischen Sender BBC.

Jaguar Land Rover würden negative Folgen eines EU-Austritts vermutlich besonders treffen, weil sich das Unternehmen anders als Bentley und Rolls-Royce nicht im Luxusmarkt bewegt, sondern im wettbewerbsintensiveren Premiumgeschäft. Das Unternehmen trägt fast ein Drittel des Autoabsatzes britischer Fabriken.

Der scheidende Technikchef Ziebart hat beim neuen Jaguar XE nicht von ungefähr viele Anleihen bei BMW genommen, von Fahrerassistenzsystemen, einer Acht-Stufen-Automatik von ZF Friedrichshafen bis hin zu Head-up-Displays, mit denen sich Fahrzeuginformationen auf die Windschutzscheibe projizieren lassen. Und damit erst gar keine Zweifel an der Zuverlässigkeit aufkommen, gibt Jaguar Land Rover eine dreijährige Garantie und kostenlose Inspektionen während der ersten 60.000 Kilometer. Bei BMW etwa gibt es nur zwei Jahre Gewährleistung.

Prompt titelte das Fachblatt Auto Motor und Sport: "Kann Jaguar BMW schlagen?" Es wäre das erste Mal seit Jahrzehnten, dass deutsche Autobauer Großbritannien wieder als Konkurrenz ansehen müssten – es sei denn, die Briten träten aus der EU aus.


Quelle: Die Zeit online
von Franz Rother, Rebecca Eisert und Yvonne Esterházy
10.04.2015
XJ 8 Sovereign 4L / 2001
Where ignorance is bliss, 'tis folly to be wise.

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