Meine anstößigen Gedanken im wilden Jaguar F-Type

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Cpt. Jag
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Meine anstößigen Gedanken im wilden Jaguar F-Type

Beitrag von Cpt. Jag » Mi 03 Jun, 2015 16:52

Eine Fahrt im Jaguar F-Type ist die beste Therapie für suizidgefährdete Menschen. Wenn man aussteigt, hat man zwar große Angst vor dem Tod, aber genießt auch die große Freude am Leben.

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Ich habe eine große Schwäche für alte Jaguare, genauer, einen Jaguar XJ-S aus meinem Geburtsjahr. Wie ich auf den gekommen war, weiß ich nicht mehr. Vielleicht habe ich im Internet nach einem passenden Auto gesucht.

Zugespitzt formuliert ist ein Lieblingsauto wie ein Sternzeichen – es muss deine Zukunft und Vergangenheit gleichzeitig erzählen, eine Lebenseinstellung und die richtige Mischung vermitteln aus Luxus und Understatement. Schauen Sie sich den Jaguar XJ-S aus meinem Geburtsjahr an. Er ist schon sehr elegant und sehr schön und zum Teil sogar für weniger als siebentausend Euro zu bekommen.

Einziger Haken: Man muss sich eine Tankstelle oder eine Ölraffinerie zulegen und eine Werkstatt. Ein sehr schneller, wunderschöner Albtraum er ist, der Jaguar, sagte schon Meister Yoda und fügte hinzu: Problem, typisch britisch, ich meine. Überhaupt wurde der Mini erst, nachdem er von BMW übernommen wurde, zu einem Auto.

Jetzt im Alter bin ich bereit, mich mit gemäßigteren Autos auseinanderzusetzen. Das heißt: Eine rasende Karre, die aber nicht gleich kaputtgeht und vielleicht sogar einen Airbag hat. Zufälligerweise hat sich Jaguar entschieden, mal wieder seine Sportlinie weiter zu versportlichen mit dem F-Type.


Ein Auto zum Bergabtragen

Weiß und prollig steht er in Ascona, in der italienischen Schweiz vor einem Hotel, das sich Giardino nennt und eine Mischung aus klinischem Terrakotta-Ambiente und hochgestochener Bundesgartenschau zu versprühen versucht. Von den Balkonen des Fünf-Sterne-Hotels schauen telefonierende Geschäftsmänner hinunter.

An den alleräußersten Rändern der Gesellschaft versteht man, dass Geld überhaupt nicht egal ist. Sowohl der Obdachlose als auch der Millionär müssen sich praktisch jede Stunde fragen mit dem Thema beschäftigen. Vielleicht ähneln sie sich auch deshalb so in ihrer modischen – formulieren wir es vorteilhaft – Nonchalance.


Knapp an der Saison vorbeigebucht herrscht hier eine gelassene Kurklinikatmosphäre, die darin besteht, regelmäßig zu liegen und die Essenszeiten einzuhalten. Es ist insgesamt eine Landschaft, in der alles da ist und alles fertig. Man fragt sich nicht mehr, weshalb da ein neuer Jaguar vor der Tür steht, sondern wo man ihn bitteschön fahren soll. Immerhin hat dieses neue Modell des F-Typs eine ungeheuere Kraft, und in der kurvenreichen und hügelig-engen Gegend lässt die sich nicht angemessen würdigen. Wenn das Land dem Auto nicht gerecht wird, müsste man hier und da wenigstens einen Berg abtragen.

Man muss zwar trotz der Aluminiumkarosserie des Jaguars keine Angst haben, aus der Kurve zu fliegen – manche behaupten 1712 Kilo, andere 1577 Kilo, wer soll das prüfen? –, ich kann mir vorstellen, hier mit einem Land Rover besser klarzukommen, doch in diesen Welten hat sich doch bitteschön die Natur anzupassen und nicht das Auto, und das ist ein angenehm anstößiger Gedanke. Dazu später mehr.

Ich sage nun erst einmal V6-Kompressormotor und 340 PS. Bumm. Ist das noch angemessen, fragen sich vielleicht manche. Was ist schon eine angemessene Geschwindigkeit für einen Menschen? Als Faustregel gilt, solange das Gehirn nicht explodiert, ist alles okay. Wenn weder Mensch noch Baum noch Kurve zu sehen ist, geht alles. Problem gelöst.


Mit dem Fuß das Gas anwedeln

Nach anfänglichen Befürchtungen, das Auto bereits bei 30 km/h vor die nächste Palme zu setzen, kommt auf der Autobahn der sogenannte Bleifuß zum Einsatz. Das bedeutet in herkömmlichen Autos, den Fuß so lange wie möglich und so kräftig wie möglich auf das Gaspedal zu pressen. Hier hat er eine andere Bedeutung.

Man muss das kleine Jaguar-Mäuschen nur ganz leicht anstupsen, wenn nicht gar mit dem Fuß anwedeln, um eine Ahnung davon zu bekommen, was es heißen könnte mit der Maximalgeschwindigkeit von zweihundertfünfundsiebzig km/h gegen eine Wand zu fahren. Meiner Meinung nach wäre es die beste Therapie für suizidgefährdete Menschen, ihnen einen Sportwagen zu geben für einen Tag. Man steigt weit weniger lebensmüde wieder aus und hat einen ungeheuren Respekt vor dem Leben.

Zumal der Sound des Motors bei hohen Geschwindigkeiten erst richtig kickt. Und wer will so etwas bitte kaputt machen? Haben wir auch dieses Problem gelöst. Und das in nicht einmal zwanzig Minuten Fahrtzeit. Sagenhaftes Auto. Ehrlich. Ich hatte noch nie soviel Angst vor dem Tod und so viel Freude am Leben wie in diesem Moment (Na gut, ich hatte mit mit drei Jahren Perlen in die Nasenlöcher gestopft, ähnliche Panik und anschließende Dankbarkeit).

Wem diese ganz offensichtlich fehlt, ist der Innendesigner dieses Jaguars. Seitdem das Schicksal von Jaguar in den Händen des indischen Lokomotivbauers Tata liegt, fühlt man sich im Innern wie die seit Jahrtausenden in den Anfängen der Zivilisation wohlig sich aufhaltende indische Oberschicht. Die Armatur und Haptik ist grob und leicht menschenverachtend. Das meine ich nicht so böse wie es klingt.


Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Während noch die hanebüchene Geschmacklosigkeit meine Aufmerksamkeit genoss, fuhr ich plötzlich auf einer einspurigen Straße auf einen extrem schmalen und dunklen Tunnel zu. Ich schaute mich um. Die Gegend war stark ins Hässliche abgeglitten, ich mochte sie nicht. Hier wuchs alles in die falsche Richtung. Vor allem die Straße. Sie war wirklich extrem schmal. Hier passten niemals zwei Autos nebeneinander und überhaupt standen die Straßenschilder falsch herum, ich sah sie nur von hinten.

Als mir gewahr wurde, dass vielleicht ich in die falsche Richtung wuchs und eine Schlange bunter Autos aus dem Tunnel mir entgegenfuhr, musste ich, bereits am Überlegen wie ich versichert bin, den Rückwärtsgang einlegen. Den gibt es nämlich noch, obwohl solche Autos sich ja wohl verbitten, rückwärts zu fahren. Sportautos folgen treu dem Leitsatz unseres Werkstattmeisters Erich Honecker vorwärts immer, rückwärts nimmer. Das hat sich einfach durchgesetzt. Inzwischen weltweit.

Jedenfalls beeindruckt mich vor allem dieser Gang. Rückwärts summt es ja ohnehin immer etwas anders, aber der Jaguar macht ein Geräusch, das so bezaubernd ist, wie ein DeLorean, der durch die Zeit reist. Ich weiß: Billiger Vergleich. Aber bitte, wie soll man denn das alles noch beschreiben. Vor lauter Superlativen fuhr ich ja jetzt rückwärts.

Es gibt kaum einen Raum, der eine so starke Wirkung hat auf die darin befindliche Person wie ein Auto. Ich wage zu behaupten, dass nicht einmal die eigene Wohnung eine solche Identifikationsfläche bietet wie ein Auto. Ich bin es und es ist jetzt ich. Und das fragt sich jeder zu Recht, wie stark eine Staatsgewalt sein kann, wenn beispielsweise die Polizei mit Opel-Corsa Streife fährt.


Große Stille, lange Nacht, 340 PS

Vor dem Schweizer Fünfsterne-Hotel Baur du Lac hielt diese Woche die Polizei und führte unter Korruptionsverdacht stehende Fifa-Funktionäre ab – in einem zivilen Opel, was für eine Demütigung. Nimmt man in einem Opel Corsa wirklich die Mafia hoch? Wie soll das gehen bei Schrittgeschwindigkeit? Und beim Aussteigen: Entschuldigung Herr Mayer, ich klapp den Sitz nach vorn, dann können Sie auch aussteigen, gern geschehen.

Der Raum bin ich, und in diesem Fall reden wir von einem weißen Blitz, einem neuen Jaguar, dessen Profil an etwas Wunderschönes von früher erinnert, als es noch Sinn ergab, schöne Autos zu bauen. Wofür? Natürlich um damit ins Casino zu fahren. Was wir nun, ich und meine Freundin, die hiermit eingeführt ist, auch sofort tun. Casino, immer schöne Menschen, äußerste Optimisten und größenwahnsinnig.

Statt direkt vor dem Casino eine quietschende Einparkdrehung machen zu können, werden wir von den tausend Begrenzungen in ein Parkhaus geführt, das so eng ist und so falsch konzipiert, dass einem ein Unrecht ins Auge springt. Die Welt ist nicht für dieses Auto gemacht. Es ist grauenvoll. Irgendwie guckt der Parkwächter noch zu, wie ich mich mit dem Jaguar in eine Situation begebe, aus der ich nur noch mit roher Gewalt glaube fliehen zu können. Vorn und hinten geht gar nichts mehr. Wie macht man das? Wie war ich versichert? Schranke durchfahren? Auto stehen lassen und weglaufen?

Irgendwie noch mal Millimeterarbeit, auch das geht mit dem Jaguar F-Type, 340 PS, sehr gut. Vorausgesetzt man erträgt das unaufhörliche aufheulen des Motors beim Anfahren. Dann in die Freiheit, großer Himmel, große Stille, lange Nacht.

Ich vermisse meinen Jaguar.






Quelle: © WeltN24 GmbH 2015 Alle Rechte vorbehalten
Autor: Andrea Hünniger
30.05.2015
XJ 8 Sovereign 4L / 2001
Where ignorance is bliss, 'tis folly to be wise.

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