Die schnellste und verrückteste Taxifahrt der Welt

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Cpt. Jag
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Die schnellste und verrückteste Taxifahrt der Welt

Beitrag von Cpt. Jag » Mo 25 Jul, 2016 12:33

Die Fahrer sind Raser, der Preis ist astronomisch, nach der Fahrt fühlt man sich elend. Dass trotzdem alle in diese Taxis wollen, liegt an der Strecke: Sie fahren im Renntempo über die Nordschleife.

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Dieser Jaguar F-Type SVR wurde umgebaut – für den Chauffeureinsatz auf dem Nürburgring

Sie schicken die schöneren Limousinen, haben die höflicheren Fahrer, machen die besseren Preise und experimentieren im Kampf gegen die Rushhour sogar mit Hubschraubern als Shuttle. Aber es gibt eine Mitfahrgelegenheit, die kann man bei Uber nicht buchen: das legendäre Ringtaxi. Stärker als jede andere Mietdroschke und gefahren von professionellen Rennfahrern, jagt es mit Vollgas über die Nordschleife des Nürburgrings und wird so zum schnellsten Taxi der Welt.

Allerdings gehört diese Taxifahrt zu den teuersten, die man buchen kann. Die verschiedenen Anbieter lassen sich den Ritt über den Ring mit bis zu 500 Euro bezahlen, und am Ende der Fahrt ist man keinen Meter weiter: Abfahrts- und Ankunftsort sind identisch. Anders als im Alltag ist hier nämlich der Weg das Ziel. Und der hat es in sich – der englische Rennfahrer Jackie Stewart hat für die 20,832 Kilometer lange Strecke durch die Eifel nicht umsonst den Namen "Grüne Hölle" geprägt.

Es braucht nur ein paar Kilometer, dann weiß auch der letzte Fahrgast, weshalb die Nordschleife so höllisch ist: 33 Links- und 40 Rechtskurven, 290 Meter Höhenunterschied, Steigungen von 18, Gefälle bis elf Prozent und eine Piste, die bisweilen so wellig ist wie ein ausgefahrener Feldweg, machen die Rennstrecke zu einer Berg- und Talbahn, die nicht nur das Material, sondern auch den Magen strapaziert.

In Kurven wie am Schwedenkreuz, im Bergwerk oder im Karussell sind Querbeschleunigungen von mehr als einem g nicht ungewöhnlich, und beim Bremsen knallt man so hart in den Gurt, dass die Schulter oft noch Stunden nach der Fahrt schmerzt.


Plötzlich taucht ein Reisebus auf


Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, sind die Taxis auch noch während der normalen Touristenfahrten unterwegs. Sie teilen sich die Strecke mit ambitionierten Amateuren in hochgerüsteten Sportwagen und mit Sonntagsfahrern in altersschwachen Familienkutschen.

Selbst Reisebusse tauchen da plötzlich im Blickfeld auf, wenn das Taxi durch die Fuchsröhre schießt oder auf der Döttinger Höhe zum Schlussspurt ansetzt. Während die Profis am Steuer bei der Taxifahrt charmant darauf losplaudern und über die Besonderheiten des Rings philosophieren, werden auch die vorlautesten Fahrgäste mit jedem Kilometer stiller, berichtet Günter Schillinger.

Schillinger ist Entwicklungsingenieur bei BMW und war davor Testfahrer für die M GmbH auf der Nordschleife. Noch immer sitzt er regelmäßig hinterm Steuer des offiziellen Ringtaxis von BMW. Was ihn an seinem Job am besten gefällt, ist die Begeisterung, die der Ritt durch die grüne Hölle bei seinen Beifahrern auslöst, egal woher sie kommen.

Als rasender Chauffeur hat Schillinger die ganze Welt zu Gast. Einer seiner Stammkunden ist ein Chilene, der einmal im Jahr zu einem Meeting nach Deutschland reisen muss und den Trip stets so plant, dass immer noch eine Runde am Ring drin ist.

Natürlich geht es den unabhängigen Anbietern bei den Runden auf dem Ring vor allem ums Geld. Die Fahrkarten sind beliebte Geschenke für runde Geburtstage und Junggesellenabschiede – oder eine willkommene Gelegenheit zum Höllenritt für all jene, die sich die Fahrt selbst nicht zutrauen. Für Fahrzeughersteller ist das Engagement aber auch eine gute Gelegenheit zur Imagepflege.

Die längste Tradition hat das Ringtaxi von BMW. Es ging es vor 30 Jahren zum ersten Mal an den Start und hat seitdem mit 99.000 Passagieren 33.000 Runden gedreht und dabei fast 700.000 Kilometer abgespult. "Damit sind wir auf der anspruchsvollsten Rennstrecke der Welt in angemessener Form präsent", sagt Robert Eichlinger, der bei BMW das Fahrertraining leitet.

Für ihn ist der M5 das ideales Vehikel für die süße Tortur. Genau wie alle andern BMW-Modelle wurde auch die aufgemotzte Version der 5er-Limousine in der Eifel auf Herz und Nieren getestet und bestreitet deshalb ein Heimspiel. Und ganz nebenbei bietet der Wagen so viel Platz, dass BMW nicht nur den Beifahrersitz verkauft: Wer ein Ticket für 225 Euro bucht, kann auf der Rückbank noch zwei Kumpels mitnehmen.


295 Euro kostet die Runde


Auch Mark Stanton ist davon überzeugt, dass es keine bessere Werbung für eine Marke mit sportlichem Anspruch gibt als das Ringtaxi: "Wo sonst können wir potenziellen Kunden ein so intensives Erlebnis bieten", sagt der Direktor der Special Vehicle Operations von Jaguar und Land Rover. Er musste nicht lange überlegen, als die Nürburgring GmbH ihn nach einem Auto für Copilot-Fahrten fragte.

Vor knapp einem Jahr startete er das Projekt "Ring Cat" und ließ einen F-Type SVR für den Chauffeureinsatz umbauen. Mit 575 PS und 323 km/h Spitze ist das Coupé das stärkste und schnellste Serienmodell, das Jaguar je gebaut hat – und ganz nebenbei das Auto mit den meisten Testrunden am Ring: "Welcher Jaguar würde sich besser für dieses Erlebnis eignen?", fragt der ehemalige Formel-1-Fahrer Christian Danner, der heute die Fahrertraining der Briten leitet und die erste Runde mit der Ringkatze dreht.

In das Coupé passt zwar nur ein Passagier, der obendrein 295 Euro für die Runde bezahlen muss. Doch dafür sei das Erlebnis unglaublich intensiv, sagt Mirco Markfort, der Chef der Nürburgring GmbH. Während man sich in einigen anderen Ringtaxen fühlt wie ein Geschäftsmann auf den Weg zum Flughafen, legt der Hausherr Wert auf authentisches Rennfahrerfeeling.


"Kreidebleich, puterrot, giftgrün – alles möglich"


Bevor man durch den Überrollkäfig in seinen Schalensitz klettert und von einem freundlichen Helfer mit einem Hosenträgergurt in den Wagen geschnallt wird, dass man kaum noch atmen kann, stecken einen die Veranstalter in einen feuerfesten Rennanzug, stülpen einem einen Helm über den Kopf und fixieren den Nacken wie in der Formel 1 mit einem Hans-System.

Nüchtern betrachtet ist das zwar nur eine vorbeugende Maßnahme. Aber wer betrachtet so etwas schon nüchtern, wenn er gerade durch die Schranke an der Touristenzufahrt rollt und sich fragt, ob das hier wirklich eine gute Idee war oder ob er vielleicht doch noch schnell aus dem Auto springen sollte.

Während die Novizen auf dem Sozius tausend Tode sterben, sitzen routinierte Rennfahrer und erfahrene Instruktoren am Steuer, die den schmalen Grat genau kennen, auf dem sie wandeln – mit bisweilen deutlich mehr als 250 km/h. Auf der einen Seite müssen sie mitten im organisierten Chaos auf die Sicherheit achten, erst recht als offizielle Chauffeure der Nürburgring GmbH. Auf der anderen Seite müssen sie den Kunden ein Erlebnis bieten, das ihnen lange in Erinnerung bleibt.

Deshalb geben die Fahrer nur selten 100 Prozent: "Wenn es eng wird, müssen auch mal 70 oder 80 Prozent genügen", sagt Andreas Gülden, Chefinstruktor der Nürburgring GmbH. Er wird künftig die Ringkatze durch die Eifel jagen, und er weiß ganz genau, dass 70 Prozent auf der Nordschleife immer noch eindrucksvoller sind als alles, was man jemals auf öffentlichen Straßen erleben wird. "Wenn alles passt, dürfen es dafür auch mal 110 Prozent sein."

Was damit gemeint ist, demonstriert sein Kollege Christian Danner auf der Jungfernfahrt der Ring Cat eindrucksvoll: Immer wieder stellt er das Coupé auf der regennassen Strecke trotz Allradantriebs so quer, dass einem der Atem stockt. Nicht auszudenken, wie sich das für jemanden anfühlen muss, der in der Eifel gerade seine Feuertaufe erlebt und noch nie zuvor eine Regelbereichsbremsung mitgemacht hat.

Andreas Gülden ist ein wenig stolz darauf, dass er an die Grenze gehen und dabei die Gesichtsfarbe seiner Gäste nahezu frei bestimmen kann: "Kreidebleich, puterrot, giftgrün – alles ist möglich." Die große Kunst sei es, den Mitfahrer genau einzuschätzen und ihm gerade noch so viel Farbe im Gesicht zu lassen, dass er nach den 20,832 Kilometern mit einem Lächeln aus dem Ringtaxi steigt – selbst wenn der erste Weg danach direkt in die Büsche führt.




Quelle: welt.de
Autor: Thomas Geiger
25.06.2016
XJ 8 Sovereign 4L / 2001
Where ignorance is bliss, 'tis folly to be wise.

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